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Wissenschaft und Industrie arbeiten im Projekt ‘Einstein Telescope Technologies’ zusammen

Zahlreiche Studien und Projekte sind im Gange, um das Grenzgebiet zwischen Belgien, Deutschland und den Niederlanden für das Einstein-Teleskop vorzubereiten. Das jüngste Projekt heisst Einstein Telescope Technologies (ETT), das sich auf die Entwicklung der erforderlichen Technologien, die geologischen Untersuchungen des Untergrunds und Technologietransfer zu anderen Sektoren konzentriert. Der Startschuss fiel im November 2021 und das Projekt wird bis Ende 2023 laufen. Es wird von einem Konsortium aus 12 Wissenseinrichtungen und Unternehmen durchgeführt. Was trägt dieses Projekt zu anderen Projekten und Vorbereitungen bei? Und warum ist es wichtig, mit der Industrie zusammenzuarbeiten? erklärt Prof. Stefan Hild.

Worum geht es bei dem Projekt Einstein Telescope Technologies?

In diesem Projekt haben wir einige der schwierigsten Herausforderungen des Einstein-Teleskops gebündelt. Fragen wie: Wie baut man die großen unterirdischen Kavernen, die wir ein paar hundert Meter unter der Erdoberfläche benötigen? Gibt es Möglichkeiten, ein geeignetes Vakuumsystem mit innovativen und kostengünstigeren Konzepten zu bauen? Und wie kann man einen Spiegel kühlen, ohne dass zusätzliches Rauschen entsteht, und seine Bewegung auf einen Bruchteil der Größe eines Atoms beschränken?

Klingt faszinierend, die Gravitationswellentechnologie…

Ganz genau! Gravitationswellenobservatorien gehören zu den komplexesten Instrumenten, die die Menschheit je gebaut hat. Nachdem Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen vorausgesagt hatte, dauerte es weitere 100 Jahre, bis wir über Maschinen verfügten, die empfindlich genug waren, um sie zu messen. Jetzt sind wir den nächsten Meilenstein im Visier: das Einstein-Teleskop. Ich persönlich liebe die Komplexität und Schönheit der Technologien, die wir fuer ET brauchen.

Darüber hinaus gibt es weitere Projekte zur Vorbereitung der Region auf das Einstein-Teleskop, wie ETpathfinder, E-TEST und ET2SMEs. Welchen Bezug hat das ETT-Projekt zu diesen Themen?

Ich denke, dass Einstein Telescope Technologies, kurz ETT, ein natürlicher nächster Schritt ist. Eine Ergänzung zu den Projekten ETpathfinder und E-TEST. Ich hoffe vor allem, dass verschiedene Aspekte, die wir in ETT entwickeln, irgendwann in ETpathfinder eingebaut und getestet werden, wie zum Beispiel die neue Kühlungsstrategien. Vielleicht können wir in den nächsten Jahren auch einen neuen Typ von Vakuumröhren in ETpathfinder testen.

Das ET2SMEs-Projekt hat einen anderen Schwerpunkt. Es hilft kleinen und mittleren Unternehmen in der Euregio Maas-Rhein vom Einstein-Teleskop zu profitieren zu koennen. Im Rahmen des ETT-Projekts arbeiten wir hingegen mit der Wirtschaft auf nationaler Ebene in den Niederlanden zusammen. Dies gibt einen Virgeschmack von dem was wir mit ET2SMEs erreichen wollen. Kurz gesagt: Alle Projekte und Aktivitäten sind miteinander verknüpft und ergänzen sich gegenseitig.

Was werden die wichtigsten Ergebnisse des ETT-Projekts sein?

Einerseits hoffe ich, dass wir neue Technologien entwickeln werden, wie zum Beispiel Techniken zur rauscharmen Kühlung von Spiegeln. Oder neue Algorithmen, um die enorme Menge an Signalen die das Einstein-Teleskops beoabchten wird so effizient wie möglich zu analysieren. Es wäre auch ein wirklich großer Schritt nach vorn, wenn wir neue und kostengünstigere Wege finden könnten, das größte Vakuumsystem der Welt zu bauen.

ETT hilft uns aber auch in anderer Hinsicht: Innerhalb von ETT können  Industriepartner sich bereits mit den Anforderungen und Konzepten für das Einstein-Teleskop vertraut machen. Dies hilft ihnen, für die Zukunft gerüstet zu sein, wenn die großen Aufträge für den Bau von ET vergeben werden.

Wie sieht es mit technologischen Spin-offs aus?

Ich hoffe auf einen regen Technologietransfer von ETT zu anderen interessanten Anwendungen. Nehmen wir zum Beispiel die Forschung im Bereich der Vakuumsysteme: Hier versuchen wir, die Kosten für große Vakuumsysteme zu senken und oder auch den Austritt von Wasserstoff durch neue Beschichtungen zu reduzieren. Wenn es uns gelingt, Vakuumsysteme billiger zu bauen, dann kann dies zum Beispiel für das Hyperloop-Projekt genutzt werden. Und die von uns entwickelten Beschichtungen, die das Austreten von Wasserstoff verringern, könnten unmittelbar in Wasserstoffautos oder anderen Teilen einer Wasserstoffwirtschaft zum Einsatz kommen.

Wie hat sich die Industrie bisher am Einstein-Teleskop beteiligt?

Hauptsächlich durch kleinere Aufträge und Ausschreibungen für ETpathfinder und E-TEST. Zum Beispiel der Bau eines Reinraums und der Bau des ETpathfinder-Vakuumsystems. Dort konnten wir uns bereits ein Bild von den hervorragenden Fähigkeiten der Unternehmen machen. Aber das war ‘nur’ die Durchführung von Projekten, die wir Wissenschaftler im Voraus entworfen hatten. ETT führt uns in eine neue Phase der Zusammenarbeit. Hier arbeiten Industrie und Forscher wirklich gemeinsam an der Entwicklung von Technologien und  können auf diese Weise ihre kreativen Ideen mit ihrem gesamten vorhandenen Fachwissen kombinieren.

Warum ist es notwendig, mit der Industrie zusammenzuarbeiten?

Ohne Industrie ist es unmöglich, das Einstein-Teleskop zu bauen. Der Bau eines Forschungslabors ist eine Sache, der Aufbau einer Forschungsinfrastruktur in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eine ganz andere. Sie erfordert Fachwissen im Bau von zivilen Infrastrukturen ähnlicher Größenordnung. Dazu gehören Systemtechnik, professionelles Projektmanagement, Risikokontrolle usw. Dieses Fachwissen ist in der Wirtschaft vorhanden. Nur wenn Forscher und Industrie ihre Kräfte bündeln, können wir das Einstein-Teleskop zu einem Erfolg machen.

Und dann darf man nicht vergessen, dass jedes Mal, wenn man die Grenzen in der Grundlagenwissenschaft verschiebt, findet man interessante Nebeneffekte, die viel breitere Anwendungen haben. In der Gravitationstwellenforschung haben wir zum Beispiel an Möglichkeiten zur Stabilisierung von Lasern gearbeitet. Und diese Technologie wird jetzt eingesetzt, um unsere Uhren genauer zu machen. Ein weiteres Beispiel: Einige meiner Kollegen in Glasgow haben mit Hilfe von Gravitationswellenforschung inspirierter Technologie künstliche Knochen durch ausgelöste Stammzelldifferenzierung hergestellt. Und andere Kollegen haben neue Gravitationssensoren entwickelt, die Erdbeben und Tsunamis frühzeitig erkennen können.

Gibt es Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit der Industrie?

Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Synergien und Win-Win-Situationen für alle Beteiligten zu schaffen. Das eigentliche Baugeld ist noch nicht verfügbar. Dies macht es für Industriepartner besonders schwierig, sich für das Einstein-Teleskop zu engagieren. Aber wenn das Budget einmal da ist, muss die Industrie bereits vorbereitet sein und wissen, was die spezifischen Anforderungen und benoetigten Technologien sind. Hier haben wir also ein Problem. Aber ETT ist eine großartige Möglichkeit, genau dieses Problem zu umgehen.


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